Offener Brief an die Leitung der Universität Basel: Superheld_innen der Wissenschaft?
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Offener Brief an die Leitung der Universität Basel

Superheld_innen der Wissenschaft?  

Der Rektor der Uni Basel Antonio Loprieno proklamiert ein Verständnis von Wissenschaft und Exzellenz, bei dem Wissenschaftler_innen unbegrenzt verfügbar sind und ihr Leben gänzlich dem Beruf unterordnen. Wir fordern von der Uni-Leitung, dieses elitäre Elfenbeinturm-Konzept nachhaltig zu revidieren.


Lieber Prof. Dr. Antonio Loprieno,   

Im September 2011 erschien in der studentischen Zeitung „Gezetera“ der Uni Basel ein Interview mit Ihnen zum Thema Chancengleichheit und Doppelkarrierepaare. Im Gespräch argumentieren Sie gegen Jobsharing und Teilzeit („Wollen Sie soziologische Modelle nur von 9 bis 12 entwickeln? Das gibt es nicht.“) und sprechen sich für eine bestimmte Form von Exzellenz im Wissenschaftsberuf aus („Ein Professor ist in der Regel ein 100 % Professor“). Mit diesem Verständnis von Wissenschaftsalltag legen Sie nahe, dass sich in privaten Karriere-Arrangements Frauen zwangsläufig zugunsten der Karrieren ihrer Männer zurücknehmen („Als ich die erste Stelle antrat, war es der ganzen ägyptologischen Welt klar, dass damit die Karriere meiner Frau, die eine sehr gute Ägyptologin war, abgeschlossen war: Ende der Sendung.“). Sie vertreten in dem Interview eine Vorstellung von wissenschaftlicher Exzellenz, die eine unbegrenzte zeitliche Verfügbarkeit verlangt und nicht in Betracht zieht, dass WissenschaftlerInnen neben ihrem Beruf auch weitere gesellschaftliche Verantwortungen (wie Hausarbeit oder Kinderbetreuung) und Bedürfnisse haben. Sie stellen Teilzeit in der Wissenschaft als vollkommen abwegig dar und proklamieren ein Berufs- und Exzellenzverständnis, bei dem in der Regel der Mann Karriere macht, während seine Gattin ihm den Rücken frei hält. Exzellenz wird männlich konnotiert – Sie gehen von einer Lebensrealität aus, die heute für die wenigsten Wissenschaftler zutrifft – am allerwenigsten für Wissenschaftlerinnen.  

Wir sind nicht einverstanden mit diesem Berufsverständnis und erwarten von Ihnen, dass Sie zu diesen Äusserungen Stellung beziehen. Wir erwarten, dass die Uni Basel sich von solchen veralteten und realitätsfernen Exzellenz-Ideologien verabschiedet. Aus der Wissenschaftsforschung wissen wir, dass Wissenschaft ein hoch arbeitsteiliger und kollektiver Prozess ist und nicht auf direktem Weg zu ihren Erkenntnissen kommt. Das heldenhafte Bild des Superforschers, der die Welt neu erfindet (oder zumindest den ganzen Tag wissenschaftliche Konzepte entwirft) spiegelt die Illusion derer, die tatsächlich glauben, sie hätten nur deshalb Erfolg gehabt, weil sie besonders gescheit seien. Und es spiegelt die Illusion, längere Arbeitspensen würden auch bessere Forschungsergebnisse bedeuten. 

Wir wollen keine Universität, die mit Genie-Idealen hausiert, sondern statt dessen endlich etwas gegen die zunehmend prekarisierte Situation von Wissenschaftler_innen tut. Das bedeutet unter anderem, dass Teilzeit, Jobsharing oder Doppelkarriere-Möglichkeiten endlich möglich, anerkannt und gefördert werden. Vor allem aber muss muss es unterhalb der Professuren-Ebene viel mehr unbefristete Stellen geben als heute. Nötig ist eine Umverteilung der Personalbudgets zu Gunsten des Mittelbaus. Anstellungsverhältnisse müssen längerfristige und flexible Perspektiven haben und die Möglichkeit gewährleisten, den Beschäftigungsgrad flexibel zu verändern.

Es darf nicht sein, dass Kinder haben oder andere soziale Verpflichtungen bedeuten, aus dem Rennen zu sein, weil das Exzellenzverständnis von einer mindestens hundertprozentigen Berufung von WissenschaftlerInnen ausgeht. Es braucht deshalb auch eine verbesserte soziale Sicherung, wie etwa in Form von Elterngeld bzw. Elternzeit. 

Schliesslich profitieren nicht nur WissenschaftlerInnen von einem Berufskonzept, das den realen gesellschaftlichen Ansprüchen und Bedürfnissen gerecht wird, sondern auch die Qualität von Lehre und Forschung.  

Wir fordern von der Uni-Leitung, insbesondere von Ihnen, Wissenschaft nicht als Elfenbeinturm-Beruf zu proklamieren, sondern als Tätigkeit, deren Qualität sich gerade dadurch auszeichnet, dass sie in vielfältiger und direkter Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen steht. Konkret erwarten wir, dass Sie nicht nur an der Universität Basel Schritte in diese Richtung machen, sondern als Präsidenten der CRUS und Vertreter der Lehrenden, Forschenden und Studierenden eine breite Diskussion auf gesamtuniversitärer Ebene führen.  


In der Hoffnung auf eine rasche Antwort grüssen wir freundlich,

PS: Falls nach dem Unterzeichnen der Petition eine Spendeaufforderung erscheint, kann diese ignoriert werden. Die Unterschrift wurde zu dem Punkt schon registriert.

PPS: Prof. Dr. Loprieno hat im 'Blog' (zwischen der Sign und der Signature Spalte) bereits als 'Kommentar' zu diesem Brief Stellung genommen.

Links

Die Ausgabe (03/2011) von Gezetera mit dem entsprechenden Interview findet sich hier (ganz unten)
http://philsem.unibas.ch/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/secure/philsem/gezetera_3_2011.pdf&t=1322155716&hash=c8134ddae06498c3cb9588e5f4525255

Prof. Dr. Depressiv: Lehrende an deutschen Hochschulen sind so produktiv wie nie – gleichzeitig häufen sich psychische Probleme

http://www.zeit.de/2011/45/Professoren-Burnout

Unbezahlte Arbeit als Hemmschuh in der weiblichen Wissenschaftskarriere? Einblicke in geschlechtsspezifische Unterschiede im privaten Lebenszusammenhang von Hochschulangestellten
http://lettres.unifr.ch/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/Documentation/Departements/Sciences_sociales/Soziologie__Sozialpolitik_und_Sozialarbeit/Newsletter/Oktober_2011/9_Liechti.pdf&t=1321482391&hash=cfed9da8a9cbc034bf13662d3b6684276948e3f1
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