Offener Brief an den Präsidenten der Freien Universität Berlin
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Offener Brief an den Präsidenten der Freien Universität Berlin

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Ziegler,

am 25.3.2020 haben Sie in einem Rundschreiben die Mitarbeiter*innen der Freien Universität dazu aufgerufen "gemeinsam verantwortlich zu handeln" und trotz der massiven Einschränkungen durch Covid-19 das Lehrangebot für das Sommersemester 2020 sicher zu stellen. Sie schreiben von den "neuen Chancen und Möglichkeiten", die sich aus der Krise ergeben, und erklären die kommenden Monate zu einem "Innovations- und Kreativsemester", einem "Semester der Ideen."

Für viele Mitarbeiter*innen sieht die momentane Realität gänzlich anders aus. Neben der Tatsache, dass auch FU-Angehörige zur sogenannten "Risikogruppe" gehören und sich verstärkt um ihre Gesundheit sorgen müssen, verschärft die Coronakrise vor allem die prekäre Lage all derjenigen, die befristete Arbeitsverträge haben. Und das sind, wie Sie wissen, der weitaus größte Teil der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen.

Die FU ist bis auf Weiteres für Ihre Mitarbeiter*innen geschlossen. Arbeitsräume und technische Infrastruktur stehen nicht zur Verfügung. Vielen Mitarbeiter*innen - und hier vor allem auch die mit Familien - steht zurzeit kein ungestörter Arbeitsplatz zur Verfügung. Gleichzeitig appelliert die FU an Lehrende die "außerordentlichen Herausforderungen" eines vollumfänglichen Semesters zu meistern.

Die kurzfristige Umstellung der Lehre auf ein Fernstudium bedeutet für alle Lehrenden einen erheblichen zeitlichen Mehraufwand. Sie müssen sich nicht nur in kurzer Zeit mit den neuen digitalen Lehrmethoden vertraut machen und eigenständig weiterqualifizieren, sondern zusätzlich den erschwerten Zugang zu Lehrmaterialien ausgleichen. Die individuelle Kontaktpflege mit den Studierenden wird größtenteils schriftlich stattfinden und ebenfalls mehr Zeit in Anspruch nehmen als bei Präsenzveranstaltungen, insbesondere da bei den Studierenden mit mehr Verunsicherung und Problemen zu rechnen ist.

Gleichzeitig sind die Forschungsmöglichkeiten durch die Schließung von Bibliotheken, Archiven und Laboren massiv beschränkt. Forschungsreisen ins Ausland sind bis Herbst untersagt und es ist noch völlig unklar, ob und in welchem Rahmen sie danach möglich sein werden. Für befristet Beschäftigte bedeutet dies, dass ihnen die ohnehin schon knapp bemessene Zeit ihre Projekte erfolgreich durchzuführen, derzeit davonläuft.

Zusätzlich besonders belastet sind in dieser Situation Eltern minderjähriger Kinder, die nun zu Hause betreut und unterrichtet werden müssen. Für Alleinerziehende oder Elternteile, deren Partner*innen in sogenannten "systemrelevanten Berufen" arbeiten, ist es derzeit nahezu ausgeschlossen Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Dies gilt in anderer Form auch für Mitarbeiter*innen, die Angehörige pflegen. Die Situation verschärft sich nach dem Vorlesungsbeginn noch einmal, sollten der Kita- und Schulbetrieb nach dem 19.4. weiterhin nicht oder nur eingeschränkt wieder aufgenommen werden.

Für die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler*innen an der Freien Universität eröffnet die Coronakrise daher weder Chancen noch Möglichkeiten und bietet eher weniger als mehr Raum für Innovation und Kreativität. Vielmehr erhöht sie die Arbeitsbelastung und verschlechtert Zukunftsaussichten. In dieser Lage sollte die Universitätsleitung nicht nur verantwortliches Handeln einfordern, sondern sich selbst zur Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeiter*innen bekennen!

Wir fordern die Hochschulleitung der Freien Universität daher dazu auf

  • das Sommersemester 2020 zum Nichtsemester zu erklären, wie dies von der gleichnamigen Initiative, der GEW und dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft gefordert wird. Das bedeutet nicht, dass Lehr- und Forschungsbetrieb eingestellt werden, aber weder Studierende, Promovierende, noch befristet Beschäftigte, die derzeit aus den oben genannten Gründen die vorgesehenen Leistungen nicht erbringen können, dürfen benachteiligt werden.
  • alle befristeten Arbeitsverträge von Wissenschaftler*innen in der Promotions- und Postdoc-Phase, aber auch von studentischen Mitarbeiter*innen und von so genannten sonstigen Mitarbeiter*innen um die Dauer der Krise, mindestens jedoch um ein Semester zu verlängern und zwar ohne Anrechnung auf die Höchstbefristungsdauer nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz beziehungsweise dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die von der Berliner Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung mit den Berliner Hochschulen am 3.4. vereinbarte Regelung reicht nicht aus, da die Folgen der Einschränkungen auch Beschäftigte treffen, deren Projekte gerade erst begonnen haben und deren Verträge dementsprechend erst nach dem 21.12.2021 auslaufen. Die Goethe-Universität Frankfurt hat gezeigt, dass dies möglich ist; die Freie Universität Berlin sollte diesem Beispiel folgen.
  • Stipendien und Evaluationszeiträume für Junior-Professor*innen um die Dauer der Krise, mindestens jedoch um ein Semester zu verlängern.
  • bereits zugesagte Lehraufträge und sonstige Honorarvereinbarungen (unabhängig von der konkreten Durchführbarkeit der Lehre) im kommenden Semester auszuzahlen und bereits zugesagte Arbeitsverträge zu unterzeichnen.
  • mit allen Drittmittelgebern eine Verlängerung der Stipendien und Stellenfinanzierung um die Dauer der Krise, mindestens jedoch um ein Semester auszuhandeln. Die DFG hat hier bereits Vorschläge für Stipendiat*innen und Doktorand*innen gemacht, von denen jedoch Postdocs ausgeschlossen sind. Von anderen Drittmittelgebern stehen solche Zusagen noch aus.
  • allen Mitarbeiter*innen (auch Sonstigen Mitarbeiter*innen), die krisenbedingt von der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten betroffen sind und für Kinder unter 13 Jahre sorgen müssen, Entlastung anzubieten. Sie sollten im angemessenen Rahmen von Arbeits- und Dienstpflichten entbunden werden. Für Lehrende ist die übliche Lehrverpflichtung im Home-Office mit Kindern zu Hause eine Zusatzbelastung; sollten die Kita- und Schulschließungen über den 19. April hinaus gelten, sollte jede SWS für Sorgetragende mit 1,5 verbucht werden.
  • sich als solidarischer Arbeitgeber beim Land Berlin und beim Bund für rechtliche und finanzielle Umsetzung dieser Maßnahmen einzusetzen.

Von Ihnen als Präsident der Freien Universität erwarten wir eine Sensibilität dafür, dass die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung die Studierenden wie auch die Beschäftigten der FU auf verschiedene Weise und in sehr unterschiedlichem Maß beeinträchtigen. Nur flexible und solidarische Maßnahmen können dazu beitragen solche Ungleichheiten abzumildern und Bedingungen dafür zu schaffen, dass tatsächlich für alle Raum für jene Kreativität und Innovation entsteht, die wir für das nächste Semester benötigen.

Erstunterzeichner*innen

Dr. Minu Haschemi Yekani (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Dr. Daniel Hedinger (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Prof. Dr. Nadin Heé (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Prof. Dr. Claudia Jarzebowski (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Prof. Dr. Christoph Kalter (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Dr. Dörte Lerp (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Dr. Joseph Ben Prestel (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Prof. Dr. Ulrike Schaper (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)
Dr. Susanne Schmidt (FB GeschKult, Friedrich-Meinecke-Institut)

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